Feministinnen in der arabischen Welt wird häufig vorgeworfen, dass sie die eigene Kultur verraten würden. Damit bedienen die Kritiker*innen wider Willen die koloniale Erzählung.
Immer wieder wird nach der Nationalität und Identität des Feminismus gefragt. Die Frage mag legitim erscheinen, doch mir als arabische Feministin scheint die Antwort bereits vorgegeben, schließlich leistet sie dem „Argument“ Vorschub, dass „der Feminismus ein Konzept des Westens sei, das in die Region (den Nahen und Mittleren Osten; AdR) exportiert wurde“. Selbst wenn es möglich sein sollte, diese Frage zu beantworten, beschäftigen mich eher die schlechten Absichten, die hinter ihr stecken.
Ich zweifle an der Unschuld dieser Frage, weil Demokraten, Liberale und radikale Islamisten sie gleichermaßen stellen. Wenn sie politische Gegner eint, dann nur, weil sie ihrer aller Interessen dient. Sie wertet den Kampf arabischer Frauen für ihre Rechte und gegen ihre Unterdrückung ab. Sie stellt ihre Ansichten und die spezifischen Ansprüche, die sich aus ihrer Situation ergeben, in Frage.
Mich wundert, dass dieses Argument in unserer Weltregion gegen den Feminismus angeführt wird, bestätigt es doch das westliche Klischee von der arabischen Frau: dass sie passiv sei, weder Willen noch Haltung habe, dass sie Opfer des „nahöstlichen Wilden“ und seiner „Kultur“ sei, der im Gegensatz zum „edlen Wilden“ von Natur aus gewalttätig sei.
Dieses Klischee ist nichts als eine Fortsetzung des Narrativs des weißen Mannes, der als Orientalist oder Kolonialherr zu uns kam. Er hat die Befreiung jenes „Opfers“ auf die Agenda der „westlichen Kriege“ in „Nahost“ gesetzt. Zeitgleich kämpft der Feminismus im „Westen“ gegen die Hegemonie des Mannes in Politik, Kultur und Religion.
Das Thema ist also von politischen Interessen geleitet und Politik ist bis heute patriarchal. Sie wird von Männern gemacht und stand immer, trotz wechselnder Ideologien, der Befreiung der Frau vom Patriarchat entgegen. Sie opferte den Kampf der Frauen wann immer es nötig war, indem sie ihn zum Kampf der „anderen“ stilisierte, oder im besten Fall als Propagandamittel einsetzte.
Der saudische Kronprinz, der seine politischen Gegner dem Vernehmen nach zerstückeln lässt, kann heute die Position des Wahabismus gegenüber Frauen einfach anpassen, wenn es seinen Interessen dient. Eines Wahabismus, der die saudischen Frauen lange unterdrückt hat und der, weil der Reichtum der Golfstaaten ihre Hegemonie in der Regionalpolitik verstärkt hat, sogar zur Unterdrückung der Frauen in der gesamten Region beigetragen hat!
Alle autokratischen Regimes in der Region rotten sich hinter der Sache der Frau zusammen, um ihre Fortschrittlichkeit zu beweisen.
In Syrien leiden die Frauen unter der Brutalität eines totalitären Regimes, das die Revolution blutig unterdrückt und sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe nutzt. Gleichzeitig schmückt es sich mit Frauen, die am öffentlichen Leben teilnehmen, um Demokratie und Säkularismus zu propagieren. Genauso machen es alle autokratischen Regimes in der Region, die sich hinter der Sache der Frau zusammenrotten, um ihre Fortschrittlichkeit zu beweisen. Und das, obwohl sie Gewalt gegen Frauen in der Region durch Gesetze gefestigt haben.
Frauen wurden in allen Organen und Institutionen von Revolution und Politik marginalisiert. Die Muslimbrüder rissen die wichtigsten Institutionen an sich und behaupteten, „das Volk zu repräsentieren“, nur weil sie am besten organisiert und vorbereitet waren. Die Demokraten und die übrigen Kräfte identifizierten sich in vielen Themenbereichen mit ihnen. Die Teilhabe von Frauen war zwar wichtig fürs Image, doch hatten diese keine Chance, etwas zu verändern.
Um die „feministische“ internationale Gemeinschaft zufriedenzustellen, mussten Frauen an der Lösung des Konflikts in Syrien beteiligt werden. Der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Staffan de Mistura, ließ sich daher von einem Frauenkomitee beraten. Doch wurden die syrischen Frauen als naive Friedensstifterinnen dargestellt und nicht als starke Akteurinnen, die den Frieden mitgestalten und Gerechtigkeit herstellen können.
Ich glaube, dass die Lage der Frau entscheidend von der Politik beeinflusst wird und dass der Kampf von Frauen weltweit immer auf die eine oder andere Weise politisch gewesen ist. Deswegen war der Autoritarismus schon immer der größte Gegenspieler der arabischen Frauen, und nicht etwa die Religion oder die Kultur, wie es der „Westen“ gern verkürzt darstellt. Die Diktatoren haben Religion und Kultur ihren Zwecken angepasst. Damit spreche ich der Religion nicht jede Schuld ab. Doch es stört mich, dass Gewalt gegen Frauen als kulturell abgetan wird oder als Teil einer vermeintlichen Identität. Sie muss als Gewalt anerkannt und sanktioniert werden.
Vom ersten Moment an mussten arabische Feministinnen sich gegen den Autoritarismus stellen, egal ob er von Osmanen, Kolonialherren oder dem Militär ausging.
Arabische Feministinnen haben längst verstanden, dass ihr Kampf politisch ist, und haben stets auch gegen den politischen Autoritarismus gekämpft. Denn es kann keine Geschlechtergerechtigkeit ohne allgemeine Gerechtigkeit geben. Allerdings haben sie es auf diese Weise nicht geschafft, langfristige Erfolge zu erzielen. Vom ersten Moment an mussten sie sich gegen den Autoritarismus stellen, egal ob er von Osmanen, Kolonialherren oder dem Militär ausging. Dabei mussten sie immer wieder um die grundlegendsten aller Rechte kämpfen. Hinzu kommt, dass der politische Kampf die Feministinnen spaltet. Es gibt arabische Feministinnen, die auf Seiten des politischen Autoritarismus stehen, weil sie ihn als Schutzwall gegen den religiösen Fundamentalismus sehen, den ersterer entweder befeuern oder einhegen kann.
Zurück zur Frage: Ich denke nicht, dass der Feminismus eine festgelegte Ideologie ist, die exportiert werden kann. Vielmehr haben Ideologien dazu geführt, dass sich der Feminismus in „Ost“ und „West“ gespalten hat. Deswegen wird er immer zutiefst ortsgebunden sein. Wenn das nicht der Fall wäre, würden sich die Anliegen „westlicher“ und „arabischer“ Feministinnen nicht teilweise widersprechen und damit den Kampf zwischen „West und Ost“ widerspiegeln, der ursprünglich politisch ist.
Der Feminismus ist ein lebendiges Konzept, das nicht endet, sobald ein bestimmtes Ergebnis erzielt worden ist. Er entwickelt sich kontinuierlich weiter, um einer rückschrittlichen Politik entgegenzuwirken, die auch Europa trifft.
Während ich den Feminismus zurzeit als etwas Ortsgebundenes betrachte, wünsche ich mir mit Blick auf seine Geschichte und mein Verständnis von Feminismus, dass er international ist. Er muss international für die Gleichberechtigung aller Frauen sorgen und für eine gerechtere Politik weltweit. Europa sollte nicht so tun, als wäre es ein Paradies für Frauen, denn dann könnte der Kampf europäischer Feministinnen gegen Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen als erledigt angesehen werden. Und das Engagement arabischer Feministinnen sollte nicht dadurch ausgebremst werden, dass man die Gewalt und Unterdrückung in ihren Ländern als Teil ihrer Identität und Kultur betrachtet. Das erweckt den Anschein als wäre es unmöglich, diese Probleme jemals loszuwerden.
Übersetzung: Hannah El-Hitami
Dieser Artikel wurde im Rahmen der deutsch-arabischen Debattenreihe von FANN Magazin veröffentlicht. Die Debattenreihe wird vom Gunda-Werner-Institut gefördert.
Das arabische Original von Walaa Kharmanda könnt ihr hier lesen. Die Antwort von Ines Kappert auf diesen Beitrag findet ihr hier.